I. Praxis Arzneimittelrecht

Praktisch „täglich Brot“ ist für Pflegefachpersonen die Abgabe von Medikamenten an Pflegebedürftige. Dabei ist zunächst darauf hinzuweisen, dass es sich bei der Frage ob und welches Medikament in welcher Darreichungsform und Dosierung und zu welchen Zeiten an den Einzelnen abzugeben ist eine originäre ärztliche Heilentscheidung darstellt. Zu der Aufgabenverteilung und Verantwortungszuweisung finden Sie ausführliche Information im Kapitel „Haftung“.

An dieser Stelle sei noch einmal auf einige praktische Aspekte der Abgabe von Medikamenten eingegangen und wiederkehrende Begriffe kurz erläutert.

Rechtsanwalt für Strafrecht und Fachanwalt für Medizinrecht Björn Weil in Gießen

A. Off label use

Medikamente werden nach den §§ 21ff. AMG nur für bestimmte Indikationen zugelassen. Häufig zeigt sich aber in der Praxis, dass Medikamente über ihre ursprüngliche Zulassung hinaus positive Wirkungen haben. Dies kann sowohl die von der Zulassung erfassten Krankheitsbilder  als auch von der Zulassung nicht umfasste Patientengruppen erfassen. Unter Off-​Label-Use wird daher der „zulassungsüberschreitende Einsatz eines Arzneimittels außerhalb der von den Zulassungsbehörden genehmigten Anwendungsgebiete (Indikationen, Patientengruppen)“ verstanden.

Ärzten ist eine entsprechende Verschreibung erlaubt. Die  gesetzliche Krankenversicherung (GKV) ist nur ausnahmsweise eintrittspflichtig wenn ein Medikament „off label“ verschrieben wird. Die gesetzliche Regelung dazu findet sich in § 35c SGB V. Danach bestehen Expertengruppen beim BfArM; (Bundesinstitut für Arzneimittel), die entscheiden, unter welchen Umständen ein Medikament „off label“ verschrieben werden kann. Ist zu befürchten, dass die GKV die Kosten nicht übernimmt, so ist der Pflegebedürftige über dieses Kostenrisiko aufzuklären. Die Frage nach dem „off label use“ und der Kostenübernahme durch die Krankenkasse ist insbesondere im Rahmen der SAPV regelmäßig von Interesse. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass nach der Rechtsprechung des BSG eine Kostenübernahme (neben weiteren Voraussetzungen!) nur in Betracht kommt, wenn das in Frage stehende Medikament unmittelbar auf die lebensbedrohliche Erkrankung als solche einwirken (BSG 13.10.2010- AZ: 6 KA 48/09) soweit das Medikament für die entsprechende Indikation nicht bereits von der Expertengruppe aufgenommen wurde.

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 B. Bedarfsmedikation

Unter haftungsrechtlichen Aspekten wurde das Thema „Anordnungsverantwortung“ und „Durchführungsverantwortung“ bereits diskutiert. Bedarfsmedikation als Arzneimitteltherapie stellt besondere Anforderungen an den verordnenden Arzt und den über den Einsatz des Arzneimittels entscheidende Pflegekraft. Bei den Pflegebedürftigen handelt es sich naturgemäß um besonders vulnerable Patienten mit oft beachtlichem Bedarf an Medikamenten. Dadurch kann es bei fehlerhaften Anwendung von Medikamenten schnell zu gesundheitlichen Schäden kommen. Der Arzt hat daher durch die Verordnung sicher zu stellen, dass keine Überdosierung oder ähnliche Probleme im Rahmen der Versorgung auftreten. Die Pflegekraft hat – wie bereits diskutiert –

Um Arzneimitteltherapiesicherheit bei der Bedarfsmedikation zu gewährleisten, sind nachfolgend aufgeführte Anforderungen zu berücksichtigen. Sie betreffen die Verordnung, Anwendung und Dokumentation betreffen.

Neben der eindeutigen Identifikation des Patienten (Pflegebedürftigen) ist eine klare Benennung des Arzneimittels ist erforderlich. Entweder durch Benennung eines Fertigarzneimittels oder durch Angabe von Wirkstoff, Darreichungsform und Einzeldosisstärke. Bei der Wirkstoffverordnung ist die Angabe der Applikationsform und des Applikationsweges zwingend erforderlich. Weiterhin muss die verordnete Dosierung angegeben werden und die beabsichtigte Therapiedauer.

Die Verordnung von Bedarfsmedikation muss enthalten:

1. Die Angabe eines präzise beschriebenen Bedarfsgrundes für den Einsatz des Arzneimittels. Darunter ist neben der Benennung der allgemeinen Indikation die Angabe eines konkreten Bedarfs, z. B. eines Symptoms und der zur Indikationsstellung geforderten Ausprägung des Symptoms erforderlich. Dieses muss für Pflegekräfte, aber auch für Patienten, also laienverständlich und vor allem unmissverständlich, formuliert sein. Auch mögliche Kontraindikationen sollten in nachvollziehbarer Form in der Verordnung enthalten sein.

2. Die Angaben zur Dosierung eines Bedarfsarzneimittels gehen über die Dosierungsangaben bei Dauer- und Akutmedikation hinaus, da häufig ein von der Ausprägung des Bedarfsgrundes und/oder der Wirksamkeit der Gabe abhängiger Dosierungsspielraum vorgesehen ist. Daher ist es erforderlich, neben der initialen Einzeldosis, die maximale Einzeldosis und gegebenenfalls die Schritte der möglichen Einzeldosissteigerung anzugeben. Auch in Fällen, in denen eine Einzeldosisreduktion sinnvoll sein kann und ohne Rücksprache mit dem Arzt möglich sein sollte, muss dies bei der Verordnung festgelegt werden. Ebenso sollte der Mindestabstand der Einzelgaben, die maximal mögliche Anzahl von Gaben pro Tag und – sofern dies zutrifft – eine maximale Therapiezyklusdauer angegeben werden. Maximale Tagesdosis und Gesamtdosis für einen Behandlungszeitraum sind bei einigen Substanzen ebenfalls anzugeben, z. B. für Colchicin in der Behandlung des Gichtanfalls.

3. Dauer der Gültigkeit der Verordnung: Wie bei jedem verordneten Arzneimittel ist auch bei der Bedarfsmedikation die Verordnung in regelmäßigen Abständen auf Fortbestehen der Indikation und Angemessenheit zu überprüfen. Dies ist zumindest immer dann erforderlich, wenn sich entweder der Gesundheitszustand des Patienten oder die Arzneimitteltherapie des Patienten ändert. Die zeitliche Begrenzung der Verordnung von Bedarfsmedikation kann als Hilfsmittel dienen, um sicherzustellen, dass die inhaltliche Notwendigkeit der Verordnung vom Verordnenden sicher zeitnah wahrgenommen und überprüft wird und wird daher empfohlen.

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Besondere Regelungen gelten für die Anwendung von Bedarfsmedikation durch Pflegekräfte (siehe auch MDK-Anleitung zur Qualitätssicherung nach §112, 114 SGB XI). Grundsätzlich ist es dem Pflegepersonal untersagt, Arzneimitteltherapie ohne ärztliche Verordnung zu initiieren. Ärztliche Verordnung vorausgesetzt, kann die Aufgabe der Applikation von Medikamenten vom Arzt an das Pflegepersonal übertragen werden, wobei die Verantwortung für die Therapie beim Arzt verbleibt. Für diesen Fall müssen eindeutig definierte Anweisungen zur Anwendung – wie dargestellt – vorliegen. Häufig fehlt jedoch bei der Verordnung von Bedarfsmedikation die Angabe der maximalen Einzeldosis und der maximalen täglichen Applikationsfrequenz (2). Dies kann zu Medikationsfehlern bei der Applikation der Arzneimittel durch Pflegekräfte oder durch Patienten führen. Insbesondere bei Arzneimitteln, bei deren Einnahme zur Vermeidung unerwünschter Nebenwirkungen besondere Einnahme-/Anwendungsvorschriften zu beachten sind, sind diesbezügliche Hinweise für den Anwender zwingend zu geben.

Sofern Pflegende die Bedarfsmedikation steuern, ist eine adäquate Dokumentation der Therapie von diesen vorzunehmen. Anforderungen an die Dokumentation sind in Tabelle 2 zusammengefasst dargestellt. Sie umfasst neben der Beschreibung des jeweiligen Bedarfsgrundes den Beleg jeder einzelnen Gabe mit Datum, Uhrzeit und Dosis sowie die Dokumentation von Wirksamkeit und Verträglichkeit. Tabelle 2: Anwendungsanforderungen von Bedarf.

Ärztliche Angaben

Was… Wie….
Patientendaten Name, Geburtsdatum, Station/Zimmer
Arzneimittel Name + Stärke
Darreichungsform Tablette, Kapsel, Spritze; (p.o.;i.m.;i.v.;s.c.)
Indikation Bedarfsgrund, z.B.: Symptom (Ausprägung); Kontraindikation
Dosierung Minimal, Maximal, max. Tagesdosis, max.  kumulative Dosis
Applikationsfrequenz Minimal, Maximal, Mittelwert
Hinweise Einnahmezeitpunkt, Management von Nebenwirkungen

Aufgaben der Pflegekräfte

Anforderung Anwendung
Entscheidungsfindung Anwendungsgrund gemäß Verordnung
Beachtung Hinweise Medikation gemäß Vorschrift
Dokumentation Bedarfsgrund, ggf. Auslassung der Gabe; Dosierung; ,Datum, Uhrzeit;, verabreichende Pflegekraft
Therapieüberwachung Kontrolle der Verträglichkeit: Nebenwirkungen & Wirksamkeit

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C. Lagerung und Stellung der Medikamente

Die Medikamente sind grundsätzlich gemäß den Vorgaben des Herstellers zu lagern. Zu beachten ist dabei die Temperatur und die Haltbarkeit nach Anbruch der Packung. Kühlpflichtige Medikamente sind daher in entsprechenden Kühlschränken zu lagern. Sollte kein gesonderter Kühlschrank vorhanden sein, sollte eine Thermometer zur Überwachung der Temperatur installiert werden. Zu beachten ist natürlich auch das Mindesthaltbarkeitsdatum.

Auch Hygiene, Sicherheit und Übersichtlichkeit spielen eine gewichtige Rolle bei der Lagerung von Medikamenten. Die Lagerungsschränke sollten regelmäßig desinfiziert werden. Ebenso ist darauf zu achten, dass sie so aufbewahrt werden, dass unbefugte Dritte keinen Zugriff auf die Medikamente haben.

Ergänzend ist darauf zu achten, dass die Medikamente individualisiert, also bewohnerbezogen aufzubewahren sind. Keine Vermischung und Vorratsbildung stattfindet. Auch hier ist an die entsprechenden Dokumentationspflichten zu denken.

Die Arzneimittelschränke sollten mindestens einmal im Monat gründlich gereinigt werden. Die verantwortliche Pflegekraft sollte benannt werden und den Kühlschrank auf die folgenden Aspekte hin prüfen:

–           Verfallsdatum, Bruch, Verderb

–           BtM unter Verschluss

–           Ordnung, Übersicht, Alphabet

–           bedarfsgerechte Vorratsmengen

–           „Verbrauch nach Zugang“: Alt vor neu

–           aufgefüllte, umgefüllte, lose Arzneimittel

–           Verwendbarkeit steriler Arzneimittel (Augentropfen, Parenteralia, Antibiotika)

–           Anbruchdatum – Herstellungsdatum, Verwendbarkeit nach Anbruch

–           nicht mehr benötigte Arzneimittel

Die anliefernde Apotheke kann in die Prüfung mit einbezogen werden und sollte es auch. Beachten Sie, dass die Apotheke von entsprechenden Versorgungsverträgen erheblich profitieren kann und daher tendenziell entgegen kommend sein wird. Die Apotheke ist nach § 12a Abs.1 Nr.2 ApoG ohnehin verpflichtet, die von ihr gelieferten Medikamente einer Prüfung zu unterziehen.

 

Auch hinsichtlich der Teilbarkeit von Medikamenten sollten die Packungsvorgaben berücksichtigt werden. Besondere Vorsicht ist bei Retard Tabletten gegeben, da der äußere Film gerade zu einer verzögerten Freigabe des Wirkstoffes führen soll. Bei Zweifeln den Arzt oder Apotheker konsultieren.

Medikamente sollten grundsätzlich nicht über längere Zeit außerhalb ihrer Originalverpackung aufbewahrt werden. Sie sind teilweise licht- oder feuchtigkeitsempfindlich und können bereits außerhalb des Körpers miteinander interagieren.

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D. Kooperation mit Apotheken

Der Gesetzgeber hat eigens eine gesetzliche Norm geschaffen um die Rahmenbedingungen für eine Kooperation zwischen Apotheken und Pflegeheimen zu schaffen. Es handelt sich um § 12a ApoG. Neben den bereits erwähnten Prüfungspflichten der Apotheke hinsichtlich der Aufbewahrung und Dokumentation regelt § 12a ApoG dass zwischen der Apotheke und der Pflegeeinrichtung ein schriftlicher Vertrag abzuschließen und der zuständigen Behörde zur Genehmigung vorzulegen ist. Insbesondere ist darauf zu achten, dass die Apotheke im gleichen oder benachbarten Kreis liegt und die freie Apothekenwahl der Heimbewohner nicht durch den Kooperationsvertrag beschränkt wird.

E. Entsorgung von Medikamenten

Überalterte, verfallene oder nicht eindeutig bezeichnete Arzneimittel sind einer geordneten Vernichtung zuzuführen. Dies kann  in Zusammenarbeit mit der zuständigen Lieferapotheke geschehen. Nach Rücksprache mit der zuständigen Behörde können Arzneimittel aber auch im Hausmüll entsorgt werden.

Einwegspritzen und Kanülen sollten aus Sicherheitsgründen (Infektionsgefahr) getrennt entsorgt werden. Entsprechende Auibewahrungsbehälter sind zur Sammlung der Kanülen im Fachhandel erhältlich.

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II. Praxis Betäubungsmittelrecht

Besondere Aufbewahrungs- und Dokumentationspflichten unterliegen natürlich Medikamente die der BtMVV unterliegen. Hier ist auch zu beachten, dass die Pflegekraft die Betäubungsmittel den Pflegebedürftigen nicht überlassen, sondern nur zum unmittelbaren Konsum zur Verfügung stelle darf. Lehnt der Pflegebedürftige den Konsum ab, so hat sie das Betäubungsmittel sogleich wieder mitzunehmen, An die Dokumentation des Vorgangs sollte gedacht werden. Überlässt die Pflegekraft das BtM dem Pflegebedürftigen ohne auf die Einnahme des Medikaments zu achten, so macht sie sich wegen unerlaubter Abgabe von Betäubungsmitteln strafbar. An verschiedenen Stellen wird empfohlen, das BTM Buch monatlich zu kontrollieren.

Der konkrete Inhalt des BTM Buchs wird durch die BtMVV vorgegeben:

BtMVV §1 Grundsätze Absatz 3:

„Der Verbleib und der Bestand der Betäubungsmittel sind lückenlos nachzuweisen:

  1. in Apotheken und tierärztlichen Hausapotheken,
  2. in Praxen der Ärzte, Zahnärzte und Tierärzte,
  3. auf Stationen der Krankenhäuser und der Tierkliniken,
  4. in Alten- und Pflegeheimen sowie in Hospizen,…“

BtMVV §14 Nachweisführung Absatz 1:

„Beim Nachweis von Verbleib und Bestand der Betäubungsmittel sind für jedes Betäubungsmittel dauerhaft anzugeben:

  1. Bezeichnung, bei Arzneimitteln entsprechend § 9 Abs. 1 Nr. 3,
  2. Datum des Zugangs oder des Abgangs,
  3. zugegangene oder abgegangene Menge und der sich daraus ergebende Bestand; bei Stoffen und nicht abgeteilten Zubereitungen die Gewichtsmenge in Gramm oder Milligramm, bei abgeteilten Zubereitungen die Stückzahl; bei flüssigen Zubereitungen, die im Rahmen einer Behandlung angewendet werden, die Menge auch in Millilitern,
  4. Name oder Firma und Anschrift des Lieferers oder des Empfängers oder die sonstige Herkunft oder der sonstige Verbleib,…“

Zur sicheren Lagerung:

Für die Aufbewahrung von BtM  sind die „Richtlinien über Maßnahmen zur Sicherung von Betäubungsmittelvorräten im Krankenhausbereich, in öffentlichen Apotheken, Arztpraxen sowie Alten- und Pflegeheimen (Stand: 1.1.2007) des BfArM (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte – Bundesopiumstelle):

Für Arztpraxen gilt „Auszug: 2. Arztpraxen, Alten- und Pflegeheime“
„Es sind zertifizierte Wertschutzschränke mit einem Widerstandsgrad 0 oder höher nach EN 1143-1 zu verwenden. Wertschutzschränke mit einem Eigengewicht unter 200 kg sind entsprechend der EN 1143-1 zu verankern. Sog. Einmauerschränke sind in eine geeignete Wand fachgerecht einzubauen.

Ausgenommen hiervon ist die Aufbewahrung von Betäubungsmittelmengen, die höchstens den durchschnittlichen Tagesbedarf einer Teileinheit darstellen und ständig griffbereit sein müssen. Diese sind durch Einschließen so zu sichern, dass eine schnelle Entwendung wesentlich erschwert wird.

Die Aufbewahrung der entsprechenden Schlüssel ist durch einen schriftlichen Verteilerplan zu regeln. Die Schlüssel sind von den Berechtigten grundsätzlich in persönlichen Gewahrsam zu nehmen.“

Nicht mehr benötigte BtM dürfen vom Arzt zur Weiterverwendung im Pflegeheim zugelassen werden. Das Betäubungsmittel verbleibt dann entweder in der Einrichtung oder wird an die Apotheke zurückgegeben.

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III. Medizinproduktrecht  in der Pflege

A. Grundsätzliches

Ausweislich § 3 Nr.1 MPG sind Medizinprodukte solche Instrumente, Apparate, Vorrichtungen, Software und Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen, die vom Hersteller zur Anwendung am Menschen bestimmt sind und zur Prävention, Diagnose oder Heilung von Krankheiten dienen. Im Einzelfall kann daher die Abgrenzung zum Arzneimittel schwierig sein. In der Regel wird danach abgegrenzt, ob das in Frage stehende Produkt seine Wirkung primär physikalisch (dann MPG) oder pharmakologisch (dann AMG) entfaltet.

Wie sich aus der Definition ergibt, kann auch Software „Medizinprodukt“ sein, was in etwa bei Handy Apps zu beachten ist. In der Pflege sind vor allem die Medizinprodukte „Rollstuhl“ (oder sonstige Gehhilfen), „Dekubitusmatratze“, „fahrbare Betten“ oder „Duschstuhl“ im Dauereinsatz. Weitere häufig in der Weitere häufig in der Pflege verwendete Gerate die in den Anwendungsbereich des MPG sowie der MPBetrVO fallen sind: Enternale Ernährungspumpen, Infusionsgeräte, Sauerstoff-Insufflationsgeräte, Blutdruckmesser, elektrische Fieberthermometer, Blutzuckermessgeräte sowie andere Geräte zur Diagnostik von Laborparametern.

Zu beachten ist, dass die bereits 2017 erlassene EU-Medizinproduktverordnung (kurz: MDR für Medical Device Regulation) am 26.05.2021 in Kraft tritt. Ursprünglich sollte sie bereits 2020 in Kraft treten, der „Startschuss“ wurde jedoch verschoben. Primär  sind  die Hersteller von den neuen Regelungen betroffen. Soweit der Bereich der Altenpflege betroffen ist, ist hauptsächlich interessant, dass der Anwendungsbereich auch um nicht unmittelbar medizinisch wirkende Produkte erweitert werden soll. So sollen etwa farbige Kontaktlinsen oder andere der Ästhetik dienende Produkte erfasst werden.

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 B. Die MPBetreibV & Verantwortlichkeiten in der Pflege

1. Grundsätzliches

Während das MPG sich im Wesentlichen mit der technischen Sicherheit und den Anforderung an Hersteller sowie den erforderlichen Sicherheitszertifikaten vor dem „erstmaligen Inverkehrbringen“ der Medizinprodukte beschäftigt, richtet sich die MPBetreibV an die Betreiber der fraglichen Geräte.  Das primäre Ziel der Verordnung ist es, die konkrete Anwendung im Einzelfall sicher zu gestalten. Adressaten sind demnach sowohl der Betreiber ( = Gesundheitseinrichtung) sowie der Anwender ( = die das Gerät nutzende Pflegekraft). Insoweit kann übrigens auch auf Richtlinien des RKI zurückgegriffen werden.

Als „Gesundheitseinrichtung“ sind die Pflegeheime in der Regel „Betreiber“ i.S.d. § 2 MPBetreibV. Grundsätzlich ist die Gesundheitseinrichtung als Arbeitgeber des „Anwenders“ auch für die korrekte Nutzung des Produkts verantwortlich. Dies ergibt sich bereits aus § 3 Abs.1 MPG aber auch aus § 280 Abs.1 BGB i.V.m. dem Anstellungsvertrag der anwendenden Pflegekraft.  Eine Ausnahme besteht, wenn der Pflegebedürftige das Medizinprodukt mit in die Pflegeeinrichtung bringt und auch selbstständig bedient; diese Ausnahme gilt auch dann noch, wenn das Personal nur als „verlängerter Arm“ des Pflegebedürftigen bei der Anwendung dient.

Die aufnehmende Einrichtung hat jedoch nicht nur für den Schutz des Patienten, sondern auch für jene von Anwendern und Dritten zu sorgen. Dies gilt auch unabhängig davon, ob die Betreiberpflichten übergehen oder etwa bei der Krankenkasse verbleiben. Es ist daher im Vorfeld einer stationären Aufnahme zu klären, ob und unter welchen Voraussetzungen Medizinprodukte mitgebracht und durch das eigene Personal bedient werden dürfen. Gegebenenfalls muss Rücksprache mit dem Pflegebedürftigen Hausarzt genommen werden und die Frage vertraglich geregelt werden.

Bei Aufnahme sollte der Zustand des Produkts geprüft werden und die Einrichtung sollte sich Wartungsprotokolle vorlegen lassen. Selbst soweit die Pflegeeinrichtung kein Betreiber ist, sind auch Aspekte wie Hygiene oder Arbeitsschutz zu prüfen.

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2. Pflichten des Betreibers

Das Pflegeheim trifft in der Regel die volle Verantwortung für die Nutzung von Medizinprodukten. Haftungsrechtlich steht es in der Pflicht sowohl die Anforderungen der MPBetreibV an den Betreiber zu erfüllen als auch jene an den „Anwender“.

a. Anwendungsbereich

Als „Betreiber“ hat die Pflegeeinrichtung einen Anspruch auf Ersteinweisung gegenüber dem Hersteller, wenn das Gerät nicht selbsterklärlich ist. Selbsterklärend ist es, wenn die Gebrauchsanweisung ausreichend ist[4]. Die Einweisungspflicht besteht auch für Medizinprodukte, die im häuslichen Bereich zur Verfügung gestellt werden[5].

Aus § 10 MPBetreibV in Verbindung mit der Anlage 1 zur MPBetreibV ergeben sich die Medizinprodukte, die ohne Einweisung erst gar nicht vom Betreiber in Betrieb genommen werden dürfen. Dies sind namentlich 1. Nicht implantierbare aktive Medizinprodukte, 2.Säuglingsinkubatoren, 3.externe aktive Komponenten aktiver Implantate. Der Begriff „aktiv“ bezeichnet dabei, das die Produkte elektrisch betrieben werden.

Beachten Sie, dass die entsprechende Einweisung ausweislich § 4 Abs.3.S:3 MPBetreibV zu dokumentieren ist. Es stellt eine Ordnungswidrigkeit dar, das Medizinproduktebuch nicht ordnungsgemäß zu führen. Zu achten ist auch auf eine regelmäßige hygienische Aufbereitung der Produkte.

Ergänzend ist noch die Medizinprodukte-Sicherheitsplanverordnung hinzuweisen. Dies verpflichtet die Betreiber dazu, Vorfälle die beim Betrieb der Produkte anfallen der zuständigen Bundesoberbehörde zu melden, § 3 Abs.2 S.1 MPSV. Die Meldungen haben sofort, d.h. ohne schuldhaftes Verzögern zu erfolgen. Ausweislich § 7 Abs.2 MPSV haben sie in elektronischer Form und maschinenlesbar zu erfolgen. Die dazu erforderlichen Formblätter können in verschiedenen zulässigen  Formaten von der Internetseite des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte abgerufen werden:  (https://www.bfarm.de/DE/Service/Formulare/functions/Medizinprodukte/vorkommnisse/mp-formulare-vorkommnisse.html; Stand: 25.08.2020) . Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass das Medizinprodukt nicht entsorgt werden darf, bis die Risikobewertung durch die zuständigen Behörden beendet ist.

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b. Kranken – und Pflegekassen als Betreiber

Auch die Kranken- und Pflegekassen sind nach der gesetzlichen Regelung „Betreiber“ und müssen daher den ordnungsgemäßen Zustand und die sichere Anwendung der von ihnen gestellten Medizinprodukte verantworten. Die Kassen erledigen dies allerdings in der Regel nicht selbst, sondern delegieren die Verantwortung an die Leistungserbringer (zB Sanitätshäuser).

c. Der Beauftragte für Medizinproduktsicherheit[6]

Nach § 6 MPBetreibV sind Gesundheitseinrichtungen mit mehr als 20 Beschäftigten verpflichtet, einen Beauftragten für Medizinproduktsicherheit zu benennen. Sinn der Regelung ist eine Bündelung und Sicherstellung der Melde- und Mitwirkungspflichten der Gesundheitseinrichtungen sicher zu stellen. Zudem ist so klargestellt, wer Ansprechpartner für Behörden, Angestellte und Betreiber in diesen Angelegenheiten ist. Er kann etwa auch Rückrufmaßnahmen durch die Hersteller koordinieren. Zu benennen ist eine sachkundige und zuverlässige Person mit medizinischer, naturwissenschaftlicher, pflegerischer, pharmazeutischer  oder technischer Ausbildung.

§ 6 MPBetreibV ist standortbezogen zu verstehen. Es muss daher grundsätzlich für jeden Standort mit mehr als 20 Beschäftigten ein Beauftragter zu benennen. Es handelt sich jedoch in der Regel nicht um eine Vollzeitbeschäftigung In Betracht kommt daher auch die Benennung eines Sicherheitsbeauftragten für mehrere Standorte zulässig. Insoweit ist jedoch eine regelmäßige Präsenz vor Ort sicher zu stellen.

3. Pflichten des Anwenders und Anforderungen an die Person des Anwenders

Davon unabhängig ist aber auch der „Anwender“ vollumfänglich verantwortlich für die korrekte Nutzung des Medizinprodukts. Der Begriff des „Anwenders“ knüpft an die tatsächliche, konkrete professionelle Anwendung des Medizinprodukts an. Ausweislich § 4 Abs.2 MPBetreibV muss die Person die erforderliche Qualifikation bzw. Kenntnis von der Anwendung des Produkts haben um eine sichere Anwendung zu gewährleisten.

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