Medizinrecht – Arzthaftung – Gynäkologe – Geburtsschaden

Gynäkologe haftet für behandlungsfehlerhaften Umgang mit pathologischem CTG
Kommt ein Kind mit einer schweren Hirnschädigung zur Welt, nachdem ein Gynäkologe mit einem pathologischem CTG behandlungsfehlerhaft umgegangen ist, so dass das Kind mit einer Verzögerung von 45 Minuten entbunden wurde, kann dem Kind ein Schmerzensgeld in Höhe von 400.000 Euro zustehen.

Der Kläger aus dem westlichen Münsterland kam im November 2008 aufgrund einer Sauerstoffunterversorgung mit schweren dauerhaften körperlichen und geistigen Schäden zur Welt.
Hierfür nimmt er den Beklagten, einen im westlichen Münsterland niedergelassenen Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe, auf Schadensersatz in Anspruch.

Im Rahmen einer zunächst unauffällig verlaufenden Schwangerschaft ließ sich die Mutter des Klägers vom Beklagten untersuchen und behandeln. Ein im November 2008 in der Praxis des Beklagten erstelltes CTG ergab einen auf eine Sauerstoffunterversorgung des Kindes hinweisenden pathologischen Befund, so dass der Kläger schnellstmöglich hätte entbunden werden müssen. Namentlich zeigte das CTG einen sogenannten „Reverse Flow“ in der Nabelschnurarterie. Der Beklagte nahm das CTG allerdings erst nach ca. 50 Minuten zur Kenntnis. Zur  Überprüfung des pathologischen Befundes führte er  eine Doppler-Ultraschalluntersuchung durch. Daraufhin veranlasste er die Mutter des Klägers mit dem eigenen Pkw nach hause zu fahren, ihre Tasche zu packen um sodann eine Entbindungsklinik in Münster aufzusuchen.

Die Entscheidung des OLG Hamm vom 19.03.2018 (Az: 3 U 63/15)

Nach Auffassung des OLG habe der Beklagte es versäumt, das CTG innerhalb von spätestens 15 bis 20 Minuten nach Beendigung der Aufzeichnung zur Kenntnis zu nehmen und auf eindeutige Pathologiezu sichten. Insoweit sei von einer nicht fachgerechten Verzögerung von 30 Minuten auszugehen. Aufgrund der Hochrisikokonstellation des „reverse flow“ der sowohl  im CTG als auch im Ultra Schall erkennbar war- und bei dem es sich um eine Hochrisikosituation handelte – hätte er die Mutter auf den Ernst der Lage hinweisen müssen. Nach Auffassung des OLG Hamm hätte er die Klägerin auch mit einem Rettungswagen in die nächstgelegene Entbindungsklinik bringen lassen müssen. Das Gericht sah in dem Handeln des Gynäkologen einen groben Behandlungsfehler. Der Kläger sei aufgrund des grob fehlerhaften Verhaltens des Gynäkologen ca.45 Minuten zu spät zur Welt gekommen. Dies sei jedenfalls mitursächlich für den vom Kläger erlittenen Hirnschaden.

Durch die Sauerstoffunterversorgung habe der Kläger einen Hirnschaden erlitten, der mit schwersten Beeinträchtigungen der Kommunikationsfähigkeit, der selbstbestimmten Interaktionsmöglichkeiten sowie seiner körperlichen Beweglichkeit einhergehe. Für diese Schädigung sei ihm ein Schmerzensgeld in Höhe von 400.000 Euro zuzusprechen.

Medizinische Kurzerläuterung:

Bei der Kardiotokografie bzw. -graphie (englisch Cardiotocography; CTG) ist ein Verfahren zur simultanen  Registrierung und Aufzeichnung der Frequenz des Herzschlags eines ungeborenen Kindes und der Wehentätigkeit  (griechisch tokos) bei der  Mutter. Das Verfahren wird sowohl während der Schwangerschaft  als auch  während der Geburt  zu Überwachungs- und Kontrollzwecken eingesetzt.

Zur Entscheidung: https://www.justiz.nrw.de/nrwe/olgs/hamm/j2018/3_U_63_15_Urteil_20180319.html
Mitgeteilt von: Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht in Gießen Björn Weil

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