Medizinrecht / Arzthaftung OLG Koblenz vom 25.09.2017 – 5 U 427/17

Das OLG Koblenz hat es als groben ärztlichen Behandlungsfehler gewertet, wenn der Hausarzt nicht sicherstellt, dass ein Laborbefund sowie die in der Praxis erhobenen Blutsenkungsgeschwindigkeit auch ohne Patientenkontakt vom Arzt ausgewertet und – falls erforderlich – nach Kontaktaufnahme zum Patienten mit diesem besprochen werden.

Die Leitsätze im Einzelnen:

1. Es liegt ein grober Organisationsfehler vor, wenn nicht sichergestellt wird, dass bei der hausärztlichen Versorgung ein Laborbefund sowie die in der Praxis erhobene Blutsenkungsgeschwindigkeit auch ohne Patientenkontakt zur Kenntnis genommen, ausgewertet und erforderlichenfalls nach Kontaktaufnahme zum Patienten mit diesem besprochen werden.

2. Allein der Umstand, dass ein Patient einen Laborbefund einfach persönlich in der Praxis abholt und damit ein Arzt-Patient-Gespräch verhindert, begründet kein Mitverschulden i.S.d. § 254 BGB. 

3. Allein ein möglicherweise vorliegender grober Behandlungsfehler des nachbehandelnden Arztes beeinträchtigt die Zurechnung der kausalen Schadensfolgen gegenüber dem erstbehandelnden Arzt nicht. Die wertende Zuordnung der Schadensfolgen zum Verhalten des nachbehandelnden Arztes kommt nicht in Betracht, wenn die Behandlung durch dessen mutmaßliches Fehlverhalten nicht in eine völlig neue Richtung gelenkt wurde, das durch die Fehlbehandlung des erstbehandelnden Arztes gesetzte Risiko nicht abgeklungen war und beide Fehlverhalten zumindest gleichwertig nebeneinander stehen.

4. Leidet die Mutter der kurz nach Diagnosestellung an Leukämie verstorbenen Tochter anschließend an psychischen Beschwerden, die mit einer weitreichenden Isolierung, dem nahezu völligen Verlust von Lebensfreude sowie einer Beeinträchtigung der Lebensfähigkeit dahin, dass sie gefüttert werden musste, einhergehen, kann dies nicht mehr als „normales Lebensrisiko“ eingeordnet werden.

 

Das Urteil liegt auch hinsichtlich der Haftung des Nachbehandlers, wenn diesem seinerseits Behandlungsfehler unterlaufen auf der Linie des für Arzthaftungsangelegenheiten zuständigen VI. Zivilsenats des BGH. Solange durch diesen Fehler kein eigenständiges Risiko begründet wird, das zu einem andersartigen gesundheitsschaden als jener Fehler des Erstbehandlers wird dieser nicht entlastet, sondern haftet vollumfänglich für den eingetretenen Schaden (Leitsatz Nr.3). Das OLG Koblenz führt dazu aus:

Grundsätzlich haftet der fehlerhaft erstbehandelnde Arzt für alle adäquat-​kausalen Schadensfolgen. Die Verantwortung entfällt daher weder allein dadurch, dass sich der Patient in die Hände eines die weitere Behandlung vollständig übernehmenden Arztes begeben hat, noch dadurch, dass auch diesem Arzt eigene Behandlungsfehler unterlaufen (vgl. nur BGH, NJW 2012, 2024). Neben dem vorsätzlichen Dazwischentreten Dritter bzw. des Verletzten trifft den Erstschädiger in zwei Fällen keine Haftung. Zum einen, wenn das Erstrisiko bei Weiterbehandlung durch den nachbehandelnden Arzt bereits abgeklungen ist, sich der erste Behandlungsfehler auf den weiteren Kausalverlauf auch nicht mehr ausgewirkt hat, und es deshalb an einem inneren Zusammenhang fehlt (OLG Saarbrücken, MedR 2000, 326). Zudem kommt ein Unterbrechen des Kausalzusammenhangs in Betracht, wenn ein Versagen des nachbehandelnden Arztes in außergewöhnlich hohem Maße festgestellt werden kann, der durch den erstbehandelnden Arzt an sich bereits angelegte Schaden also erst durch ein völlig ungewöhnliches und völlig unsachgemäßes Verhalten des weiteren Arztes (mit dem wegen seiner Ungewöhnlichkeit unter normalen Umständen nicht zu rechnen war), entscheidend ausgelöst wird. Erforderlich ist also, dass der die Zweitschädigung herbeiführende Arzt in außergewöhnlich hohem Maße die an ein gewissenhaftes Verhalten zu stellenden Anforderungen außer Acht gelassen und derart gegen alle ärztlichen Regeln verstoßen haben muss, dass der Schaden seinem Handeln haftungsrechtlich-​wertend allein zugeordnet werden muss (BGH, NJW 2012, 2024, BGH, VersR 2003, 1128). Allein ein grober Behandlungsfehler des nachbehandelnden Arztes ändert an der Zurechnung der kausalen Schadensfolgen gegenüber dem erstbehandelnden Arzt nichts (vgl. auch Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, Rdnr. B 191: nur noch äußerer, gleichsam zufälliger Zusammenhang; Steffen/Pauge, Arzthaftungsrecht, Rdnr. 283: Zurechnung soweit durch groben Behandlungsfehler der Behandlungsverkauf nicht richtungsgebend verändert wurde; Wertenbruch, NJW 2008, 2962: Verhalten im obersten Bereich der groben Fahrlässigkeit).

Das Urteil im Volltext

Tenor

1. Der Senat weist die Parteien darauf hin, dass er beabsichtigt, die Berufung des Beklagten gegen das Urteil der 10. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 15. März 2017 (Az: 10 O 105/13) einstimmig gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

2. Der Beklagte und sein Streithelfer können zu den Hinweisen des Senats Stellung nehmen bis zum 23. Oktober 2017. Die Rücknahme der Berufung wird empfohlen.

(Hinweis der Dokumentationsstelle des Bundesgerichtshofs: Das Gericht teilt mit, dass die Berufung nach dem Hinweisbeschluss zurückgenommen worden ist.)

Gründe

I.
Die Kläger verlangen materiellen und immateriellen Schadensersatz im Zusammenhang mit allgemeinmedizinischer Versorgung durch den Beklagten aus eigenem sowie ererbtem Recht.

Die 1985 geborene Tochter der Kläger stellte sich am 11. August 2009 bei dem Beklagten, der sie hausärztlich betreute, vor. Mit Blick auf eine anstehende Kieferoperation wurde eine Blutentnahme zur Untersuchung der Laborwerte vorgenommen. Die Laborwerte zeigte eine Anämie und eine Leukopenie und das Differenzialblutbild eine Anisozytose, auffällige Riesenthrombozyten und drei Blasten sowie eine Poikilozytose. Eine Besprechung der Laborwerte durch den Beklagten erfolgte nicht. Dieser nahm die Laborwerte auch nicht selbst zur Kenntnis. Wenige Tage später wurde der beabsichtigte kieferchirurgische Eingriff durch den Streithelfer des Beklagten in den Räumlichkeiten der Streithelferin durchgeführt.

Am 8. Februar 2010 stellte sich die Tochter der Kläger notfallmäßig im …[E]-​Krankenhaus in …[Z] mit Gliederschmerzen, Muskelschmerzen und trockenem Husten vor. Mit der Verdachtsdiagnose akuter Leukämie wurde sie am 10. Februar 2010 in die Universitätsklinik nach …[Y] verlegt. Dort stellten die behandelnden Ärzte die Diagnose einer unreifen akuten biologischen Leukämie bei bestehender Lungenentzündung. Am 18. Februar 2010 kam es zu einem ausgedehnten Hirninfarkt, an welchem die Tochter der Kläger verstarb. Sie wurde von den Klägern beerbt.

Die Kläger haben zur Begründung ihres auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes aus ererbtem Recht wegen der gesundheitlichen Beeinträchtigungen ihrer Tochter sowie eines Schmerzensgeldes für die Klägerin zu 1) und den Kläger zu 2) infolge des Todesfalls erlittener Schäden, auf Ersatz der Beerdigungskosten in Höhe von 7.108 €, auf Erstattung der angefallenen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 2.161,99 € sowie auf Feststellung der Einstandspflicht des Beklagten für sämtliche künftigen materiellen Schäden der Kläger gerichteten Begehrens vorgetragen, der Beklagte hätte zwingend von den Laborwerten Kenntnis nehmen und ihre Tochter informieren müssen. Notfalls hätte er eigenständig zu ihr Kontakt aufnehmen müssen. Eine Kenntnisnahme von den Laborwerten hätte zu einer Überweisung an einen Hämatologen geführt. In der entsprechenden Unterlassung liege die Ursache für den späteren Todeseintritt. Die Heilungschancen im August 2009 seien deutlich besser gewesen als bei Diagnosestellung im Februar 2010. Ihre Tochter habe infolge der unterlassenen Auswertung der Laborwerte monatelang unter starken Beschwerden (Abgeschlagenheit, Muskelschmerzen und Gliederschmerzen) gelitten. Ihre Leistungsfähigkeit sei eingeschränkt gewesen. Nach der Verlegung in die Universitätsklinik in …[Y] sei es ihr immer schlechter gegangen und ihr hätten Opiate verabreicht werden müssen. Die Klägerin zu 1) leide seit dem Tod ihrer Tochter unter schwersten Depressionen und massiven psychosomatischen Beschwerden. Noch heute bestünden Schlaf- und Essstörungen. Ihre berufliche Tätigkeit habe sie weitgehend aufgeben müssen und erst rund zwei Jahre nach dem Tod ihrer Tochter wieder stundenweise aufnehmen können. Auch der Kläger zu 2) leide seit dem Todesfall an einer chronisch rezidivierenden Depression. Für die Beerdigung ihrer Tochter seien den Klägern Kosten in Höhe von 7.108,88 € entstanden.

Der Beklagte hat dem entgegengehalten, die Blutwerte seien nur für den Anästhesisten und den Operateur für den zahnärztlichen Eingriff benötigt worden. Die Tochter der Kläger habe am 12. August 2009 in der Sprechstunde erscheinen sollen, um die Blutwerte besprechen zu können. Sie habe indes beim Praxispersonal darauf gedrängt, die Werte ohne Besprechung zu erhalten. Letztlich seien ihr die Blutwerte ausgedruckt und ausgehändigt worden. Daher habe er weder von den Blutwerten noch von der in seiner Praxis erhobenen Blutsenkungsgeschwindigkeit Kenntnis erlangt. Das Versterben der Tochter der Kläger an der akuten myoloischen Leukämie sei letztlich nicht auf sein Handeln zurückzuführen. Auch bei unmittelbarer Reaktion auf die Laborwerte wäre es zu dem letztlich eingetretenen Verlauf gekommen. Es sei die Pflicht der Streithelfer gewesen, die Laborwerte auszuwerten. Diesen sei insoweit ein grober Behandlungsfehler unterlaufen.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes sowie der erstinstanzlich von den Parteien gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Bl. 552 ff. GA) verwiesen.

Das Landgericht hat den Bekl. verurteilt, an die Kläger ein Schmerzensgeld wegen der von ihrer Tochter erlittenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen in Höhe von 20.000 €, Beerdigungskosten in Höhe von 7.108 €, ein Schmerzensgeld wegen der der Klägerin zu 1) entstandenen Gesundheitsschäden in Höhe von 10.000 € zu zahlen sowie die Kläger von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.419,19 € freizustellen. Zugleich hat das Landgericht festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin zu 1) sämtliche zukünftigen materiellen Schäden infolge des Todeseintritts ihrer Tochter zu ersetzen. Im Übrigen hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Der Beklagte sei gegenüber der verstorbenen Tochter der Kläger eintrittspflichtig gewesen, weshalb diese einen Schmerzensgeldanspruch in Höhe von 20.000 € geerbt hätten. Dem Beklagten sei ein grober Organisationsfehler vorzuwerfen, da er nicht sichergestellt habe, die ermittelten Laborwerte auszuwerten. Infolge der unterbliebenen Behandlung des Krankheitsbildes habe die Tochter der Kläger in der Zeit von November 2009 bis zu ihrem Tod im Februar 2010 unter starken Beschwerden gelitten. Dies rechtfertige es ein Schmerzensgeld von 20.000 € zuzuerkennen. Zwar wäre es auch bei Behandlung einer akuten Leukämie zu Beschwerden der Tochter der Kläger gekommen, doch hätte diese dann zumindest eine Schmerzmedikation erhalten. Der Klägerin zu 1) stehe ein Schmerzensgeldanspruch in Höhe von 10.000 € zu. Das Verhalten des Beklagten habe zum Versterben ihrer Tochter geführt. Hiervon sei aufgrund des Vorliegens eines groben Behandlungsfehlers des Beklagten auszugehen. Durch den Tod ihrer Tochter habe die Klägerin eine schwere depressive Episode sowie eine akute Belastungsreaktion erlitten. Bis heute bestünde ein mittelschweres depressives Syndrom. Dem Kläger zu 2) stehe hingegen kein Schmerzensgeldanspruch zu. Allerdings sei ein Anspruch auf Erstattung der Beerdigungskosten in Höhe von 7.108 € begründet. Im Übrigen wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (Bl. 558 ff. GA) Bezug genommen.

Hiergegen wendet sich der Beklagte mit seiner Berufung und dem Begehren, das Urteil aufzuheben und die Sache an das Landgericht zurückzuverweisen. Das Landgericht stelle lediglich auf einen groben Organisationsfehler des Beklagten ab. Indes habe er vorgetragen, dass ein gravierenderes ärztliches Versagen der Streithelfer vorliege. Dieses lasse die Zurechnung der Schadensfolgen mit Blick auf seine Einstandspflicht entfallen. Hiermit habe sich das Landgericht nicht auseinandergesetzt. Zudem sei das Schmerzensgeld bezüglich der gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Tochter der Kläger übersetzt. Die vom Landgericht angeführten körperlichen Beschwerden könnten ein Schmerzensgeld in Höhe von 20.000 € nicht tragen. Dabei sei zu berücksichtigen, dass der Patientin ein erhebliches Mitverschulden nach § 254 Abs. 1 BGB vorzuwerfen sei, da sie sich auch nach dem Auftreten der Beschwerden nicht in qualifizierte fortdauernde fachärztliche Behandlung begeben habe. Schließlich sei vernachlässigt gelassen worden, dass die Patientin in völlig unvernünftiger Art und Weise das ihr angebotene Arztgespräch hinsichtlich des Laborbefundes abgelehnt und den Befundbericht ohne Arzt-​Patient-​Gespräch mitgenommen habe. Das der Klägerin zu 1) zugesprochene Schmerzensgeld in Höhe von 10.000 € sei ebenfalls übersetzt. Der Klägerin zu 1) müsse der Einwand eines erheblichen Mitverschuldens an der Fortwirkung des Schadens vorgehalten werden. Dies gelte auch für den erhobenen Anspruch auf Feststellung der Einstandspflicht für materielle Zukunftsschäden. Im Übrigen wird auf die Berufungsbegründung vom 7. Juni 2017 (Bl. 606 ff. GA) verwiesen. Sein Streithelfer nimmt hierauf Bezug und stellt einen eigenen Behandlungsfehler in Abrede.

Der Beklagte beantragt ferner,

das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigen das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens. Es könne der Berufung nicht zum Erfolg verhelfen, dass nunmehr ein erhebliches Verschulden der Streithelfer angeführt werde. Die Einstandspflicht des Beklagten umfasse auch etwaige Fehler der nachbehandelnden Ärzte, die vorliegend ohnehin nur mit einem eingeschränkten Verantwortungsbereich – der kieferorthopädischen Operation – tätig geworden seien. Die zugemessenen Schmerzensgelder seien angemessen, da weder der verstorbenen Patientin noch der Klägerin ein Mitverschuldensvorwurf entgegengehalten werden könne. Insoweit wird auf die Berufungserwiderung vom 24. Juli 2017 (Bl. 620 ff. GA) verwiesen. Die Streithelfer der Kläger sehen keine Grundlage für ein eigenes Fehlverhalten; ohnehin sei deren Verhalten nicht geeignet, den Zurechnungszusammenhang bezüglich der Haftung des Beklagten entfallen zu lassen. Insoweit wird auf ihren Schriftsatz vom 18. September 2017 (Bl. 638 ff. GA) Bezug genommen.

Zum weiteren Sach- und Streitstand wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie die Beiakten Bezug genommen.

II.

Der Senat ist nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand einstimmig der Überzeugung, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat. Der Rechtssache kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Berufungsgerichts. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung ist nicht geboten. Von ihr sind keine neuen Erkenntnisse zu erwarten.

Die Berufung des Beklagten ist zulässig, obgleich diese keinen ausdrücklich und bestimmt formulierten Berufungsantrag enthält. Denn es genügt, wenn die Berufungsbegründung ihrem Inhalt nach eindeutig ergibt, in welchem Umfang und mit welchem Ziel das Urteil angefochten werden soll (BGH, NJW 2015, 1606). Dies ist der Fall. Auf Seite 4 der Berufungsbegründung teilt der Beklagte mit, nach seiner Ansicht sei das landgerichtliche Urteil aufzuheben und zur erneuten Sachaufklärung an das Landgericht zurückzuverweisen. Ein solcher lediglich auf Aufhebung und Zurückverweisung gerichteter Antrag genügt, weil er bereits die Weiterverfolgung des bisherigen Sachbegehrens als Ziel des Rechtsmittels erkennen lässt (vgl. nur BeckOK-​ZPO/Wulf, Ed. 24, § 520 Rdnr. 15 m.w.N.), die nachträglich vom Beklagten im Schriftsatz vom 27. Juli 2017 auch ausdrücklich als Berufungsantrag formuliert wurde.

Die Berufung hat jedoch in der Sache keine Aussicht auf Erfolg. Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Entscheidung des Landgerichts Bezug genommen. Die dagegen erhobenen Angriffe der Berufung überzeugen den Senat nicht. Hierzu Folgendes:

1. Das Landgericht hat zutreffend einen Anspruch der Kläger auf Zahlung eines Schmerzensgeldes wegen der gesundheitlichen Beeinträchtigungen ihrer verstorbenen Tochter in Höhe von 20.000 € zuerkannt.

Die Berufungsbegründung greift in diesem Zusammenhang nicht sämtliche landgerichtlichen Feststellungen zu den Anspruchsvoraussetzungen eines von den Klägern geerbten Schmerzensgeldanspruchs ihrer verstorbenen Tochter gegen den Beklagten an. Vielmehr beschränkt der Beklagte sich darauf, den Wegfall des Zurechnungszusammenhangs aufgrund des Verhaltens der Streithelfer sowie ein Mitverschulden der Patientin einzuwenden. Hiermit vermag er nicht durchzudringen.

a) Die Feststellungen des Landgerichts zum Anspruchsgrund sind – unabhängig von der Frage des Wegfalls des Zurechnungszusammenhangs – nicht zu beanstanden. Der Senat hat sie seiner Entscheidung zugrunde zu legen (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Es bestehen keine Zweifel an der Richtigkeit der Feststellungen des Landgerichts. Die Würdigung, es liege ein grober Organisationsfehler des Beklagten vor, da in seiner Praxis nicht sichergestellt gewesen sei, dass er den Laborbefund sowie die erhobene Blutsenkungsgeschwindigkeit auch ohne Patientenkontakt zur Kenntnis nehme, auswerte und erforderlichenfalls nach Kontaktaufnahme zu der Patientin mit dieser bespreche, ist nicht zu beanstanden. Insoweit schließt sich der Senat den Ausführungen des Landgerichts an. Hinsichtlich der haftungsbegründenden Kausalität greift daher die vom Bundesgerichtshof entwickelte Beweislastumkehr bei einem groben Behandlungsfehler. Diese Beweislastumkehr erfasst grundsätzlich nur den Primärschaden. Insoweit kann der Senat offenlassen, ob auch die im Februar 2010 eingetretene Lungenentzündung sowie der anschließende Hirninfarkt – wie es das Landgericht angenommen hat – von der Beweislastumkehr erfasst werden oder ob diese als Sekundärschäden nicht in die Reichweite der Beweislastumkehr fallen. Denn auch dann wäre von einem Kausalzusammenhang hinsichtlich der weiteren Schadensfolgen auszugehen. Insoweit ist zu beachten, dass die haftungsausfüllende Kausalitätsverknüpfung zu körperlichen Folgeerscheinungen der Primärschädigung den geringeren Beweisanforderungen des § 287 ZPOunterliegt (vgl. nur BGH, NJW 2008, 1381). Für die Beweisführung reicht es danach aus, wenn für die Behauptung eine überwiegende Wahrscheinlichkeit angenommen werden kann (vgl. nur BGH, NJW 2011, 375). Auf der Grundlage des Gutachtens des onkologischen Sachverständigen ist mit zumindest überwiegender Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass die (zumindest) als Primärschädigung anzusehende unbehandelte Fortentwicklung der Leukämie Ursache für die Lungenentzündung war und diese wiederum mit zumindest überwiegender Wahrscheinlichkeit zu dem Hirninfarkt geführt hat. Dies lässt sich dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. …[A] unmissverständlich entnehmen (Bl. 362 GA; „gutachterlicherseits keinen Zweifel an der Zuordnung dieser Todesursache zu der Gesamtsituation“). Insofern hat das Landgericht zutreffend sämtliche festgestellten gesundheitlichen Beeinträchtigungen bei der Schmerzensgeldzumessung zugrunde gelegt.

Soweit erstinstanzlich der Einwand erhoben wurde, es wäre ohnehin zu diesem Verlauf gekommen, handelt es sich hierbei um den Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens. Insoweit obliegt es indes dem Beklagten als Schädiger, den Beweis zu erbringen, der Schaden wäre auch beim rechtmäßigen Verhalten eingetreten (BGH, NJW 2005, 1718). Dabei muss der Schädiger den vollen Beweis führen. Es reicht nicht, wenn er darauf verweist, bei einem rechtmäßigen Verhalten wäre der Schaden möglicherweise ebenfalls eingetreten (vgl. nur Baumgärtel/Laumen/Prütting/Helling, Handbuch der Beweislast, 3. Aufl. 2008, § 249 BGB). Selbst wenn hierbei ebenfalls lediglich das Beweismaß des § 287 ZPO herangezogen werden müsste, besteht keine Grundlage für die Berufung des Beklagten auf ein rechtmäßiges Alternativverhalten. Aus dem onkologischen Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. …[A] ergibt sich, dass die Wahrscheinlichkeit für einen frühen Tod unter Therapie im August 2009 bei 5% gelegen habe. Insofern kann nicht von einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit für einen gleichartigen Verlauf ausgegangen werden.

b) Der Beklagte kann sich auch nicht auf einen Wegfall des Kausalzusammenhangs berufen.

Grundsätzlich haftet der fehlerhaft erstbehandelnde Arzt für alle adäquat-​kausalen Schadensfolgen. Die Verantwortung entfällt daher weder allein dadurch, dass sich der Patient in die Hände eines die weitere Behandlung vollständig übernehmenden Arztes begeben hat, noch dadurch, dass auch diesem Arzt eigene Behandlungsfehler unterlaufen (vgl. nur BGH, NJW 2012, 2024). Neben dem vorsätzlichen Dazwischentreten Dritter bzw. des Verletzten trifft den Erstschädiger in zwei Fällen keine Haftung. Zum einen, wenn das Erstrisiko bei Weiterbehandlung durch den nachbehandelnden Arzt bereits abgeklungen ist, sich der erste Behandlungsfehler auf den weiteren Kausalverlauf auch nicht mehr ausgewirkt hat, und es deshalb an einem inneren Zusammenhang fehlt (OLG Saarbrücken, MedR 2000, 326). Zudem kommt ein Unterbrechen des Kausalzusammenhangs in Betracht, wenn ein Versagen des nachbehandelnden Arztes in außergewöhnlich hohem Maße festgestellt werden kann, der durch den erstbehandelnden Arzt an sich bereits angelegte Schaden also erst durch ein völlig ungewöhnliches und völlig unsachgemäßes Verhalten des weiteren Arztes (mit dem wegen seiner Ungewöhnlichkeit unter normalen Umständen nicht zu rechnen war), entscheidend ausgelöst wird. Erforderlich ist also, dass der die Zweitschädigung herbeiführende Arzt in außergewöhnlich hohem Maße die an ein gewissenhaftes Verhalten zu stellenden Anforderungen außer Acht gelassen und derart gegen alle ärztlichen Regeln verstoßen haben muss, dass der Schaden seinem Handeln haftungsrechtlich-​wertend allein zugeordnet werden muss (BGH, NJW 2012, 2024, BGH, VersR 2003, 1128). Allein ein grober Behandlungsfehler des nachbehandelnden Arztes ändert an der Zurechnung der kausalen Schadensfolgen gegenüber dem erstbehandelnden Arzt nichts (vgl. auch Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, Rdnr. B 191: nur noch äußerer, gleichsam zufälliger Zusammenhang; Steffen/Pauge, Arzthaftungsrecht, Rdnr. 283: Zurechnung soweit durch groben Behandlungsfehler der Behandlungsverkauf nicht richtungsgebend verändert wurde; Wertenbruch, NJW 2008, 2962: Verhalten im obersten Bereich der groben Fahrlässigkeit).

Hiervon ausgehend kommt ein Wegfall des Zurechnungszusammenhangs vorliegend nicht in Betracht, wobei es keiner weiteren Sachaufklärung hinsichtlich der Einordnung des Fehlverhaltens der Streithelfer bedarf. Ebenfalls kann dahinstehen, ob das ergänzende, die Vorwürfe gegen die Streithelfer weiter ergänzende Vorbringen in der Berufungsbegründung nach § 531 Abs. 2 ZPO Berücksichtigung finden kann, obgleich erstinstanzlich lediglich eindringlich darauf abgestellt wurde, dass die Streithelfer ebenfalls grob behandlungsfehlerhaft gehandelt hätten. Denn bei der Frage des Entfallens des Zurechnungszusammenhangs handelt es sich letztlich nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs um eine wertende Betrachtung. Bei einer solchen wertenden Betrachtung ist die Zuordnung der Schadensfolgen allein zum Handeln der Streithelfer aber nicht eröffnet. Dabei kann der Senat davon ausgehen, dass die Streithelfer behandlungsfehlerhaft, sogar grob behandlungsfehlerhaft gehandelt haben mögen. Durch deren mutmaßliches Fehlverhalten wurde die Behandlung der Patientin indes nicht in eine völlig neue Richtung gelenkt. Das durch die Fehlbehandlung des Beklagten gesetzte Risiko war mitnichten abgeklungen, sondern bestand zum Zeitpunkt der Behandlung durch die Streithelfer unverändert fort. Die Behandlung durch den Beklagten stellte gerade die erforderliche Vorleistung für die Weiterbehandlung durch die Streithelfer dar. Insofern war das durch den Beklagten gesetzte Erstrisiko nicht abgeklungen. Ebenso wenig ist der durch den Erstbehandelnden bereits angelegte Schaden auch nicht erst durch die Streithelfer entscheidend ausgelöst worden. Vielmehr stehen beide Fehlverhalten nebeneinander. Auch wenn daher ein erhebliches, aber nicht vorsätzliches Verschulden der Streithelfer angenommen wird, hat deren Verhalten nur dazu geführt, dass die in die primäre Behandlungspflicht des Beklagten fallende Auswertung der Laborbefunde und die hierdurch ausgelöste Verzögerung der Behandlungseinleitung ihren Fortgang nehmen konnte. Insofern besteht kein wertungsmäßiges Ungleichgewicht, das einer Korrektur bedürfte. Das Landgericht war daher nicht gehalten, insoweit eine weitere Sachaufklärung vorzunehmen.

c) Auch das vom Landgericht zugebilligte Schmerzensgeld in Höhe von 20.000 € bedarf keiner Herabsetzung.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hängt die Höhe des zuzubilligenden Schmerzensgeldes in erster Linie von dem Maß der Lebensbeeinträchtigung ab (vgl. nur BeckOK-​BGB/Spindler, Ed. 41, § 253 Rdnr. 26 m.w.N.). Der Umfang der Lebensbeeinträchtigung wird insbesondere durch Ausmaß und Dauer erlittener Schmerzen und Beeinträchtigungen sowie durch Dauerfolgen der Verletzungen bestimmt. Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes bei einer Gesundheits- oder Körperverletzung, an deren Folgen der Verletzte alsbald stirbt, erfordert eine Gesamtbetrachtung der immateriellen Beeinträchtigung unter besonderer Berücksichtigung von Art und Schwere der Verletzungen den Blick auf das hierdurch bewirkte Leiden und dessen Wahrnehmung durch den Verletzten sowie auf den Zeitraums zwischen Verletzung und Eintritt des Todes (vgl. BGH, NJW 1998, 2741). Insofern ist der baldig eintretende Tod bei der Schmerzensgeldzumessung durchaus zu berücksichtigen.

Das vom Landgericht zuerkannte Schmerzensgeld stellt sich gleichwohl nicht als übersetzt dar. Den einschlägigen Schmerzensgeldtabellen lassen sich Fälle entnehmen, in denen bereits vor zahlreichen Jahren Schmerzensgelder zuerkannt wurden, die in den Bereich des vom Landgericht gewählten Betrages fallen, wobei mitunter wegen des Zeitablaufs eine maßvolle Erhöhung vorzunehmen ist. So hat das OLG Hamm für einen nach einem Unfall Verletzten, der über Schmerzen klagte und nach 30 Minuten in das künstliche Koma versetzt wurde, in dem er zehn Tage später verstarb, ein Schmerzensgeld von 14.316 € zuerkannt (OLG Hamm, NZV 1997, 233 mit Revisionsentscheidung BGH, VersR 1998, 1034). Ebenso hat das OLG Hamm ein Schmerzensgeld von 15.000 € für ein lebensgefährlich verletztes, aber ansprechbares und über seinen Zustand orientiertes Unfallopfer, das nach 32 Tagen auf der Intensivstation an den Unfallfolgen verstarb, zugesprochen (OLG Hamm, OLGR 2000, 226). Entsprechendes gilt für einen 60 Jahre alten Verletzten, der acht Tage wegen der Folgen einer Verkehrsunfallverletzung an Organversagen verstarb, wobei unaufklärbar blieb, ob er den Todeskampf bewusst erlebte oder Todesangst verspürte. Das LG Oldenburg hat einem bei einem durch einen Verkehrsunfall Geschädigten, der 3,5 Monate bei apallischem Syndrom auf der Intensivstation behandelt wurde, aufgrund der Hirnschädigung aber keine sehr erheblichen Schmerzen erlitten haben dürfte, ein Schmerzensgeld von 17.500 € zugesprochen (LG Oldenburg, DAR 1995, 294). Das OLG München erkannte einem Unfallopfer, das nach 5,5 Monaten bei irreversiblen Hirnschädigungen und fehlender Ansprechbarkeit die Möglichkeit zur Nahrungsaufnahme, verstorben ist, ein Schmerzensgeld von 25.000 € zu (OLG München, OLGR 1997, 51). All diese Fälle belegen, dass die vom Landgericht gewählte Größenordnung keineswegs übersetzt ist. Dies gilt erst recht, wenn Berücksichtigung findet, dass die Tochter der Kläger über einen zumindest drei Monate andauernden Zeitraum unter beständigen, einer Grippeerkrankung ähnelnden Symptomen gelitten hat, sich gleichwohl zur Arbeit quälte und bei Aufnahme in die stationäre Krankenhausbehandlung unter extrem hohem Fieber litt. Es leuchtet unmittelbar ein, wenn die Kläger schildern, dass sie im Krankenhaus unter starken Schmerzen litt. Bereits nach zwei Tagen musste sie ins künstliche Koma versetzt werden. Berücksichtigt man dieses mehrmonatige und sich am Ende dramatisierende Leiden der Tochter der Kläger, ist ein Schmerzensgeld von 20.000 € in keiner Weise übersetzt.

Ein Mitverschulden, das zur Mäßigung, aber nicht zur Quotierung des Schmerzensgeldbetrages führen würde, ist nicht ersichtlich. Allein der Umstand, dass die Patientin die Laborbefunde nach dem Vorbringen des Beklagten bei diesem in der Praxis einfach abgeholt und ein Arzt-​Patient-​Gespräch verhindert habe, begründet kein Mitverschulden im Sinne des § 254 Abs. 1 BGB. Denn es ist nicht ersichtlich, inwiefern in diesem Zusammenhang von einem schuldhaften Verhalten auszugehen wäre. Der Beklagte schildert keine Situation, die es der Patientin aufzeigen musste, dass eine ärztliche Behandlung dringend angezeigt ist. Sie konnte sich andererseits darauf verlassen, dass erhobene Befunde auch ärztlicherseits ausgewertet werden, wie es erkennbar zum ärztlichen Pflichtenkreis gehörte. Auch für die Folgezeit kann der Patientin kein Mitverschulden angelastet werden. Der Beklagte trägt die Darlegungs- und Beweislast für ein Mitverschulden der Tochter der Kläger. Die Kläger haben indes vorgetragen, dass ihre Tochter die Beschwerden auf ihre berufliche Tätigkeit zurückgeführt und sie wegen der grippeähnlichen Beschwerden auch einmal Antibiotika eingenommen hat. Der Senat kann offenlassen, ob überhaupt eine gesundheitliche Situation gegeben war, in der die Tochter der Kläger auf eine umfassende gesundheitliche Überprüfung hätte hinwirken müssen. Ihre als grippeähnlich geschilderten Beschwerden, die sie zur Aufrechterhaltung ihrer beruflichen Tätigkeit hingenommen und die sie dieser – wie etwa die Gliederschmerzen – auch zugeordnet hat, begründen jedenfalls keinen dem groben Behandlungsfehler des Beklagten entgegenzuhaltenden Mitverschuldensvorwurf, der eine Absenkung des Schmerzensgeldes von 20.000 € gebieten würde. Ergänzend sei angemerkt, dass auch keine Ausnahme von der Beweislastumkehr wegen des groben Behandlungsfehlers geboten ist, da nicht nur ein Mitverschulden fehlt, sondern auch das Fehlverhalten des Beklagten gerade die unterlassene Sicherstellung der Kenntnisnahme von dem Laborbefund im Falle des nicht erneuten Praxisbesuchs der Patientin betraf.

2. Soweit das Landgericht den Klägern gemeinschaftlich den Anspruch auf Ersatz der Beerdigungskosten zugesprochen hat, erhebt der Beklagte in seiner Berufung keine weitergehenden Einwände. Die entsprechende Verurteilung ist nicht zu beanstanden.

3. Auch die Zuerkennung eines Schmerzensgeldanspruchs der Klägerin zu 1) wegen der ihr persönlich entstandenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen ist nicht zu beanstanden.

a) Der Klägerin zu 1) steht ein Anspruch auf immateriellen Schadensersatz nach § 823 Abs. 1 BGB zu.

Von einer Gesundheitsverletzung der Klägerin zu 1) ist auszugehen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichthofes kann auch eine durch ein haftungsbegründendes Ereignis ausgelöste, traumatisch bedingte psychische Störung von Krankheitswert eine Gesundheitsverletzung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB darstellen. Eine Schadensersatzpflicht für die psychische Auswirkung einer Verletzungshandlung setzt danach nicht voraus, dass hierfür eine organische Ursache besteht. Vielmehr genügt grundsätzlich die hinreichende Gewissheit, dass die psychisch bedingte Gesundheitsverletzung ohne die Verletzungshandlung nicht aufgetreten wäre (vgl. nur BGH, NJW 2015, 1451 m.w.N.). In bestimmten Konstellationen kann eine Gesundheitsverletzung auch bei einem Dritten, also einer nicht unmittelbar am Schadensereignis beteiligten Person vorliegen. Derartige psychisch vermittelte Gesundheitsverletzungen müssen indes pathologisch fassbar sein und über die gesundheitlichen Beeinträchtigungen hinausgehen, denen Angehörige in entsprechenden Situationen erfahrungsgemäß ausgesetzt sind (vgl. nur BGH, NJW 2012, 1730). Zudem bedarf es einer besonderen personalen Beziehung des mittelbar Geschädigten zu dem Schwerverletzten oder getöteten Menschen, wofür das Vorliegen gegebene Eltern-​Kind-​Verhältnis genügt (vgl. BGH, NJW-​RR 2007, 1395).

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist der Senat vom Vorliegen einer Gesundheitsverletzung der Klägerin zu 1) überzeugt. Das Landgericht hat diese unter nicht zu beanstandender Würdigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme – hier des eingeholten forensisch-​psychiatrischen Sachverständigengutachtens – angenommen. Der Senat nimmt hierauf Bezug und schließt sich den landgerichtlichen Ausführungen in vollem Umfang an. Der Beklagte erhebt in der Berufungsbegründung hiergegen lediglich den Einwand, es sei widersprüchlich und unklar, ob die Klägerin zu 1) an einer „mittelschweren depressiven Verstimmung“ oder an einer „schweren depressiven Verstimmung“ leide. Insoweit verkennt der Beklagte, dass der Sachverständige und hieran anknüpfend das Landgericht zwischen dem unmittelbar nach dem Versterben der Tochter der Kläger eingetretenen Gesundheitszustand sowie der weiteren Entwicklung mit einer gewissen Mäßigung des Krankheitsbildes unterscheidet. Der Sachverständige hat unmissverständlich und sorgfältig begründet klargestellt, dass bei der Klägerin zu 1) nach dem Tod ihrer Tochter eine schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome (ICD-​10: F32.2) begleitet von einer akuten Belastungsreaktion (ICD-​10: F43.0) vorgelegen hat. Daran, dass der durchaus dramatische Todesfall ein geeignetes Traumaereignis darstellt, hat der Senat keinerlei Zweifel. Auch im Übrigen stellt sich die vom Sachverständigen angeführte Einschätzung der gesundheitlichen Situation der Klägerin als sorgfältig und überzeugend dar. Mangels konkreter Einwände des Beklagten gegen die landgerichtliche Würdigung, sieht der Senat keine Zweifel an den getroffenen Feststellungen, weshalb diese bindend im Sinne des § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO sind.

Diese Gesundheitsverletzungen gehen über die gesundheitlichen Beeinträchtigungen hinaus, denen Angehörige in entsprechenden Situationen erfahrungsgemäß ausgesetzt sind. Die Klägerin zu 1) hat Gesundheitsbeeinträchtigungen erlitten, die klar pathologisch fassbar sind. Sie gehen in ihrer Schwere über das „Normalmaß“ hinaus und weisen eine Intensität auf, die nicht mehr als „normales Lebensrisiko“ eingeordnet werden kann. Dies verdeutlicht nicht nur die schwerwiegende Diagnose, die der Sachverständige Dr. …[B] bestätigt hat. Auch der sich aus dem Sachverständigengutachten hergebende Krankheitsverlauf, der eine weitreichende Isolierung der Klägerin, dem nahezu völligen Verlust von Lebensfreude sowie eine Beeinträchtigung der Lebensfähigkeit dahin, dass sie gefüttert werden musste, beschreibt, eindrucksvoll entnehmen.

b) Die Gesundheitsverletzungen sind auch auf das Schadensereignis – dem Behandlungsfehler des Beklagten mit der Folge des Versterbens der Tochter der Kläger – zurückzuführen (§ 286 Abs. 1 ZPO). Auch dies hat das Landgericht in nicht zu beanstandender Weise festgestellt, wobei es hierbei keines Rückgriffs auf die Figur des groben Behandlungsfehlers bedurfte. Es liegt auf der Hand, dass die psychischen Beschwerden der Klägerin infolge des Todesfalls eingetreten sind. Auch hier kann – wie ausgeführt – Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens nicht mit Erfolg erhoben werden.

c) Das auf dieser Grundlage zugesprochene Schmerzensgeld des Landgerichts ist nicht zu beanstanden. Der Senat nimmt insoweit zur Vermeidung von Wiederholungen umfänglich auf die Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung des Landgerichts Bezug. Die dortigen Ausführungen, nach denen ein Schmerzensgeld in Höhe von zumindest 10.000 € angemessen ist, werden vom Senat geteilt. Mit Blick auf die Schmerzensgeldzumessung kann der Senat dabei offenlassen, ob ein Mitverschulden der Klägerin wegen der bisher unterbliebenen therapeutischen Versorgung ihres Krankheitsbildes im erforderlichen Umfang vorliegt. Der Sachverständige Dr. …[B] hat klargestellt, dass die Klägerin angesichts des Schweregrades der erlittenen schweren depressiven Verstimmung nicht mehr frei willensbestimmt und somit nicht mehr in der Lage war, anhand rationaler Überlegungen eine Entscheidung zu treffen. Man hätte eine psychiatrische Behandlung nur gegen ihren erklärten Willen positionieren können (Bl. 449RS GA). Insofern kann der Klägerin für den Zeitraum unmittelbar nach dem Versterben ihrer Tochter, für den sich aus dem Sachverständigengutachten die unmittelbare Aufgabe der beruflichen Tätigkeit, die Unfähigkeit zur Teilnahme am sozialen Leben und zur Bewältigung des Alltags bis hin zu dem Bedürfnis, von ihrem Sohn gefüttert zu werden, das vom Landgericht angesetzte Schmerzensgeld von 10.000 € zugesprochen werden. Die Schilderungen des Sachverständigen, die diesen zu der Einschätzung verleitet haben, dass die Klägerin nicht mehr in der Lage war, rationale Entscheidungen zu treffen, zeigen klar das von ihr erlebte Leid auf. Bereits diese Phase nach dem Versterben der Tochter rechtfertigt das angesetzte Schmerzensgeld. Daher kann dahinstehen, inwiefern für die Zeit der späteren mittelschweren depressiven Verstimmung mit psychosomatischen Beschwerdebildern (ICD-​10: F32.11) mit einer pathologischen Trauerreaktion im Sinne einer chronischen Anpassungsstörung (ICD-​10: F43.2) ein Mitverschulden wegen der unterbliebenen therapeutischen Behandlung in Betracht kommen könnte.

4. Obgleich danach ein Mitverschuldenseinwand nicht völlig auszuschließen ist, ist die Zuerkennung des von der Klägerin erhobenen Feststellungsanspruchs hinsichtlich der materiellen Zukunftsschäden auf der Grundlage der Berufungsbegründung nicht zu beanstanden. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung eines Feststellungsanspruchs liegen vor. Sie werden auch von dem Beklagten nicht in Frage gestellt. Er erhebt lediglich den Einwand, das Landgericht habe ein Mitverschulden der Klägerin unberücksichtigt gelassen. Dieser Einwand greift indes zu kurz. Der Beklagte trägt – wie ausgeführt – die Darlegungs- und Beweislast für ein Mitverschulden der Klägerin. Er muss also darlegen und beweisen, dass die Klägerin die Sorgfalt außer Acht gelassen hat, die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens anzuwenden pflegt. Das Landgericht hat in der angefochtenen Entscheidung ausgeführt, dass ein Mitverschulden wegen der Unterlassung der Aufnahme einer Therapie nicht in Betracht komme, da der Zustand der Klägerin derart schlecht war, dass sie aus eigenem Willen keine Verbesserung ihrer Situation durch eine Therapie anstreben konnte. Es ist also davon auszugehen, dass der Klägerin kein Verschulden vorgeworfen werden konnte. Insofern hätte es angesichts der Begründung des landgerichtlichen Urteils dem Beklagten oblegen, in der Berufungsbegründung dazu vorzutragen, ab welchem Zeitpunkt aus seiner Sicht die Willenssteuerung der Klägerin bereits wieder in einem Umfang ausgeprägt war, der einen Mitverschuldenseinwand eröffnen würde. Sein pauschaler Vortrag, die Klägerin hätte sich in Therapie begeben müssen, trägt den erstinstanzlichen Feststellungen, die zu keiner Zeit angegriffen wurden, nicht Rechnung. Insofern kann der Senat offenlassen, in welchem Umfang eine etwaig als Mitverschulden anzusehende Unterlassung einer Therapie überhaupt zur Anspruchskürzung beitragen könnte.

III.

Aufgrund der vorstehenden Ausführungen bietet die Berufung offensichtlich keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Auch unter Berücksichtigung des neu gefassten § 522 Abs. 2 ZPO ist eine mündliche Verhandlung aus den eingangs genannten Gründen nicht geboten. Die Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 ZPO liegen vor.

Dem Beklagten wird empfohlen, die Berufung kostensparend zurückzunehmen.

Der Senat verweist darauf, dass er die Erklärung der Streithelfer Dr. Dr. …[C] und …[D]klinik gGmbH im Schriftsatz vom 18. September 2017 (Bl. 638 ff. GA), wonach für die Berufungsinstanz auf Seiten der Kläger beigetreten wird, als Rücknahme des ursprünglichen Beitritts auf Beklagtenseite und Neubeitritt auf Klägerseite. Ein derartiger Wechsel ist möglich (vgl. nur Zöller/Vollkommer, ZPO, 31. Auflage 2016, § 66 Rn. 18).

Die übliche Frist zur Stellungnahme beträgt nach §§ 522277 Abs. 3 ZPO zwei Wochen (vgl. hierzu auch Zöller/Heßler, ZPO, 31. Aufl. 2016, § 522 Rn. 34; Stein/Jonas/Althammer, ZPO, 22. Aufl. 2013, § 522 Rn. 61; MünchKomm-​ZPO/Rimmelspacher, 5. Aufl. 2016, § 522 Rn. 27, der sogar ausspricht, dass die Frist nicht überschritten werden sollte; Fellner, MDR 2017, 435). Der Senat hat die Frist von vorneherein großzügiger bemessen. Das soll der Partei eine hinreichende Überlegungsfrist gewährleisten und Fristverlängerungsgesuche überflüssig machen. Fristverlängerungen sind deshalb auf absolute Ausnahmefälle beschränkt, weil sie in der ersten Fristsetzung bereits berücksichtigt sind (vgl. hierzu OLG Rostock, Beschl. v. 27. Mai 2003 – 6 U 43/03OLGR 2004, 127; vgl. zur Begründung des Verlängerungsgesuches auch BVerwG,NJW 2008, 3303). Nicht prüffähige, pauschale Behauptungen genügen nicht (OLG München, MDR 2017, 483; OLG Köln, MDR 2014, 299). Es sind deshalb für ein Fristverlängerungsgesuch erhebliche Gründe in prüffähiger Form glaubhaft zu machen, die eine notwendige Fristverlängerung begründen. Dazu gehört die Darlegung, welche Schritte unverzüglich eingeleitet wurden, um eine fristgerechte Stellungnahme sicherzustellen.

Der Senat beabsichtigt, den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 39.108 € festzusetzen, wobei der Feststellungsantrag im Einklang mit der landgerichtlichen Festsetzung mit 2.000 € bewertet wird.

Mitgeteilt von: Rechtsanwalt und Fachanwalt Medizinrecht in Gießen,   Björn Weil

 

 

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