Medizinrecht – Arzthaftung

Jeder der sich mit dem Thema „Arzthaftung“ – ob als Laie oder als Jurist – auseinandersetzt begegnet recht schnell dem „groben Behandlungsfehler“. Aufgrund seiner Einbettung im Bereich der Beweislast kommt dem Begriff im Verfahren auch durchaus entscheidende Bedeutung zu. Das Thema „Beweis“ ist die Schlüsselstelle fast jeden Arzthaftungsverfahrens. Der Patient muss – kurz gefasst – beweisen, dass a) ein Behandlungsfehler vorliegt und b) dieser Behandlungsfehler zu einem Schaden geführt hat. Allein auf den Teil b) bezieht sich die mit dem „groben Behandlungsfehler“ verbundene Umkehr der Beweislast. Im Verfahren bedeutet diese Umkehr der Beweislast, dass der Patient nicht mehr beweisen muss, dass der Behandlungsfehler zu einem Schaden geführt hat, sondern umgekehrt der Arzt beweisen muss, dass der Behandlungsfehler nicht zu dem vom Patienten (Kläger) geltend gemachten Schaden geführt hat. An dieser Stelle darf aber keinesfalls verkannt werden, dass der Patient nach wie vor dafür beweisbelastet ist, dass der geltend gemachte Behandlungsfehler überhaupt vorliegt und zudem „grob“ im Sinne der Rechtsprechung ist. Anderenfalls verbleibt es eben bei der üblichen Beweislastverteilung.

Für den Sekundärschaden – also die Frage, welcher weitere Schaden aus dem  ursprünglichen Schaden hervorgeht –  spielt der grobe Behandlungsfehler von vorneherin keine Rolle. Hier steckt der Teufel oft im Detail. Übersieht etwa ein Chirurg grob fehlerhaft auf einem Röntgenbild den Bruch eines Fingers und entwickelt sich aufgrund dieses Bruchs Morbus Sudeck (sog.“ komplexes regionales Schmerzsyndrom“; tritt ein aufgrund Dystrophie und Atrophie von Gelenkabschnitten) ist die Morbus Sudeck nach Auffassung des BGH (BGH Urt.vom 12.02.2006 – VI ZR 221/06). In weiteren Entscheidungen wurde zwischen Gelenkschaden (Primärschaden) aufgrund grob fehlerhafter Meniskusoperation und der daraufhin eintrenden Arthrose (Sekundärschaden) (= OLG Thüringen Urteil vom 12.06.2012 -4 U 634/10) – bzw. zwischen Verätzungen (Primärschaden) aufgrund Verwechslung von Desinfektionsmitteln und der Fistelbildung (Sekundärschaden) (= OLG Köln, Urt. v. 27.6.2012 – 5 U 36/10) unterschieden. Ausnahmen gelten insoweit nur die sogenannten „typischen Fehlerfolgen“, auf die sich die Beweislastumkehr ebenfalls erstreckt. Auf das Thema soll an der Stelle aber nicht weiter eingegangen werden.

Der Behandlungsfehler

Bevor wir uns dem groben Behandlungsfehler zuwenden sollte zunächst geklärt sein, wann überhaupt von einem Behandlungsfehler gesprochen wird. Fehler können in den unterschiedlichsten Bereichen der medizinischen Versorgung geschehen. So können etwa  Befunde nicht erhoben oder falsch Diagnosen gestellt werden. Ebenso kommt eine falsche Medikamentenauswahl, oder ein Fehler während der Operation in Betracht. Auch die Nachsorge kann mängelbehaftet sein.  Behandlungsfehler unterlaufen nicht nur Ärzten, sondern auch Krankenpflegern, Hebammen, Heilpraktikern oder Psychotherapeuten. Auch wenn nicht ausreichend qualifiziertes Personal eine Behandlung durchführt oder Abläufe im Krankenhaus schlecht aufeinander abgestimmt sind, kann ein Fehler vorliegen, ein sogenannter Organisationsfehler.  Auch Unterlassungen – können ein fehlerhaft sein. So zum beispielsweise die unterlassene rechtzeitige Überweisung an einen Facharzt.

Allgemein lässt sich sagen, dass ein Behandlungsfehler dann vorliegt, wenn die medizinische Maßnahme nicht dem allgemein anerkannten Standard entspricht, der im Zeitpunkt ihrer Durchführung besteht. Mit den Worten des Bundesgerichtshofs: „Ein Behandlungsfehler liegt vor, wenn der Arzt den medizinischen Standard nicht eingehalten hat. Der Standard gibt Auskunft darüber, welches Verhalten von einem gewissenhaften und aufmerksamen Arzt in der konkreten behandlungssituation aus der berufsfachlichen Sicht seines Fachbereichs im Zeitpunkt der Behandlung erwartet werden kann. Er repräsentiert den jeweiligen Stand der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse und der ärztlichen Erfahrung, der zur Erreichung des ärztlichen Behandlungsziels erforderlich ist und sich in der Erprobung bewährt hat ( BGH NJW 2016,S.713 ).

Entscheidend ist der objektive Facharztstandard zum Zeitpunkt der Behandlung. Der Maßstab ist ein objektiver; subjektive Entschuldigungsgründe bleiben außer Betracht. Zur Bestimmung des Facharztstandards können oft Leitlinien der medizinischen Fachgesellschaften sowie die Richtlinien des GBA (Gemeinsamer Bundesausschuß der Krankenkassen und der Kassenärztlichen Vereinigung) herangezogen werden. Daneben sind natürlich die medizinischen Standards erfasst, die so selbstverständlich sind, dass sie in den Leitlinien schon nicht erwähnt werden, etwa hinsichtlich Hygiene,etc. Der so ermittelte Standard muss dann aber noch auf mit der jeweiligen Behandlungssituation abgeglichen werden. An ein Universitätsklinikum sind andere Anforderungen zu stellen als an ein Allgemeinkrankenhaus. Verstößt nunmehr die ärztliche Behandlung gegen den so ermittelten Standard liegt ein Behandlungsfehler vor.

Der „grobe“ Behandlungsfehler

Nach der Rechtsprechung liegt ein „grober Behandlungsfehler“ dann vor, wenn das ärztliche Verhalten eindeutig gegen gesicherte medizinische Erkenntnisse oder bewährte ärztliche Behandlungsregeln  verstößt und der Arzt einen Fehler begeht, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint und einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf (vgl. BGH, Urt.v. 03.07.2001 – VI ZR 418/99; BGH Urt.v. 25,10,2011 – VI ZR 139/10″ ). Mit anderen Worten: Die Behandlung muss gegen elementare Behandlungsregeln und Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft verstoßen. Für die Diffenrenzierung ist die Betrachtung des Sachverhalts insgesamt maßgeblich. Liegen mehrere einfache Behandlungsfehler gehäuft vor, kann in der Gesamtschau ein grober Behandlungsfehler angenommen werden.

Insoweit ist zu beachten, dass selbst bei Annahme eines solchen Fehlers der Arzt auch noch die Möglichkeit hat, die Vermutung des Zusammenhangs zwischen Fehler und Primärschaden zu widerlegen.  Der schwierigst Weg ist dabei für den Arzt den Gegenbeweis anzutreten, also zu beweisen, dass seine Behandlung gerade nicht zu dem geltend gemachten Schaden geführt hat. Alternativ hat er – je nach Fallgestaltung –  auch die Möglichkeit, einzuwenden, dass der geltend gemachte Schaden höchstwahrscheinlich nicht auf seiner Behandlung beruht. Wann eine Behandlung „höchstwahrscheinlich nicht zu dem geltend gemachten Schaden geführt“ hat ist im Einzelnen umstritten. In der Regel reicht es den Gerichten, wenn der Sachverständige ausführt, dass die Wahrscheinlichkeit für einen Zusammenhang weniger als 20 % beträgt. Teilweise werden auch 10% gefordert.

Mitgeteilt von: Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht in Gießen; Björn Weil

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