Medizinrecht – Arzneimittel- Betäubungsmittel- / Strafrecht

Unter dem Aktenzeichen Az 3 C 19.15 hat das Bundesverwaltungsgericht im März 2017 entschieden, dass der Staat in Ausnahmefällen den Zugang zu einer tödlichen Dosis von Betäubungsmitteln für einen schmerzfreien Suizid nicht verwehren darf. Unheilbar Kranke haben nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts aufgrund des  allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art .2 Abs.1 i.V.m. Art 1. Abs 1 GG das Recht, wann und wie sie wollen aus dem Leben zu scheiden.

Die Betroffene litt nach einem Unfall unter starken Schmerzen und Krämpfen. Sie war fast querschnittsgelähmt und bedurfte künstlicher Atmung. Diesen Zustand empfand sie als unerträglich und entwürdigend. Sie wollte aus dem Leben scheiden. Die hiesigen Behörden – darunter das BfArmM- verweigerten ihr jedoch die notwendige Medikamentendosis. Das Bundesinstitut für Arzneimittel vertrat 2004 die Auffassung, dass der Antrag mit dem Schutzzweck des  Betäubungsmittelgesetz nicht vereinbar sei und daher der entsprechende Antrag abzulehnen sei. In 2005 reiste die Ehefrau des nun klagenden Witwers  schließlich in die Schweiz und nahm sich dort mithilfe eines Vereins zur Sterbehilfe das Leben.

Dessen Klage auf  Feststellung der Rechtswidrigkeit des Versagungsbescheids des BfArM  wiesen alle Instanzgerichte und schließlich das  Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) ab. Der Ehemann sei schon nicht klagebefugt, da er selbst nicht unmittelbar betroffen sei.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrecht (EGMR –  https://www.coe.int/en/web/portal/gerichtshof-fur-menschenrechte) entschied allerdings, dass der Witwer wegen des Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention, EMRK) klagebefugt sei und einen Anspruch darauf habe, dass die nationalen Gerichte die Begründetheit der Klage prüften (Urt. v. 19.07.2012, Beschwerde-Nr. 497/09).

Nachdem die Instanzgerichte zunächst entschieden hatten, dass der Versagungbescheid des BfArM rechtmäßig gewesen sei hob das  Bundesverwaltungsgericht die vorangegangenen Urteile im März 2017  auf. Die Verweigerung eines Medikaments zur Selbsttötung sei hier rechtswidrig gewesen. Dies ergebe sich aus verfassungsrechtlichen Erwägungen. Das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen schütze auch sein Recht, seinem Leben ein selbstbestimmtes Ende zu setzen. Das Gericht betonte jedoch den Ausnahmecharakter der Entscheidung. Grundsätzlich stimmte es der Auffassung des BfArM zu, dass es mit dem Schutzzweck des BtMG nicht vereinbar sei, eine tödliche Dosis eines Medikamentes zu erwerben.  In Ausnahme gilt nach Auffassung des BVerwG allerdings für Patienten, die aufgrund schwerer und unheilbarer Krankheit selbst bestimmt hätten, ihr Leben beenden zu wollen und ihnen keine palliativ gleichwertige Behandlungsalternative, wie etwa ein Behandlungsabbruch, zur Verfügung steht.

Allerdings machten die Bundesverwaltungsrichter klar, dass es nur um ganz besondere Einzelfälle gehen könne. Grundsätzlich sei es nach den Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes nicht möglich, den Erwerb einer tödlichen Dosis zum Zweck des Suizids zu erlauben.

Es sei aber „eine Ausnahme für schwer und unheilbar kranke Patienten zu machen, wenn sie wegen ihrer unerträglichen Leidenssituation frei und ernsthaft entschieden haben, ihr Leben beenden zu wollen, und ihnen keine zumutbare Alternative – etwa durch einen palliativ – medizinisch begleiteten Behandlungsabbruch – zur Verfügung steht“.

Das Urteil ist bahnbrechend, da es nach der bis dahin geltenden Rechtsprechung gänzlich unmöglich war, überhaupt eine tödliche Dosis von Betäubungsmitteln zu erhalten.
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht, Björn Weil – Gießen

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